Ein möglicher Malprozess
im Ausdrucksmalen

Es bringt mir Spaß, meine Hände wild auf dem Blatt hin und her zu bewegen. Alles ist noch offen - ich bin frei und ich genieße es. Manche Bewegungen mache ich immer wieder, mag gar nicht aufhören.

Aus der Bewegung entstehen Formen, die mir wichtig werden und so verstärke ich die Linien und Flächen, um ihnen nachzuspüren.

Ich bekomme Herzklopfen, fange an zu ahnen, dass da etwas verborgen ist. Ich trete zurück und entdecke eine Figur. Ich sehe einen Körper, der sich vorbeugt, einen gesenkten Kopf und links könnte ein Sessel stehen.

Dieser Moment ist aufregend, denn wenn ich mich entscheide, diese Figur deutlicher zu malen, wird das Bild konkret. Ich werde gestalten und formen und weiß nicht, was schließlich daraus werden wird. Doch ich bin neugierig und entscheide mich für dieses Risiko.

Ich setze mich mit der Form auseinander. Entscheide, wo der Sessel steht, wie er steht, wo beginnt die Wand, wo endet der Boden? Dafür brauche ich Zeit


Immer wieder geht mein Blick zu der Figur. Wer sitzt da? Was macht sie gerade?

Langsam hat sich mein Bild verändert. Es war grau-blau und weiß, jetzt kommt mehr Farbe hinzu. Der Boden, die Wand - alles bekommt ein Bordeauxrot.

Immer klarer wird, dass dort eine alte Frau sitzt. Sie schaut in ihren Schoß. Sie rührt mich sehr, sie ist so allein. Sie braucht Beine, einen Tisch. Ich denke an meine Großmutter und werde traurig.

Doch dann konzentriere ich mich wieder auf die Perspektive, wo kommen die Füße auf, wo die Tischbeine? Nun bekommt sie noch Schuhe und plötzlich weiß ich, was sie gerade macht. Ich bin erleichtert und schnell male ich noch die Kleinigkeiten, die fehlen.

Währenddessen öffnet sich etwas in mir und wird weit. Da ist wieder das alte Gefühl von Geborgenheit und Liebe aus meiner Kindheit und es fällt mir leicht, eine kleine Geschichte dazu zu erzählen.

Das Bild ist fertig, der Titel gefunden und die kleine Geschichte erzählt. Als ich anfing zu malen, hatte ich an nichts gedacht und nun gibt es dieses Bild. Es war aufregend und ich bin müde. Doch ich bin zufrieden, denn während des Malens war ich traurig, und nun bin ich voller Dankbarkeit und Liebe und das fühlt sich warm und gut an.

Die Großmutter

"Es ist Abend geworden, hinter dem Fenster ist es schon dunkel und der Winter ist nah. Die Großmutter hat sich an den Küchentisch gesetzt; vor ihr steht eine heiße Tasse Tee. Nun erst öffnet sie den Brief, den sie am Morgen bekam und über den sie sich so freute und beginnt zu lesen."